Berliner Kliniken vor dem Aus? Inflation stürzt Krankenhäuser in die Krise

In Brandenburg gibt es die erste Insolvenz. Auch einige Berliner Klinikmanager sehen ihr Unternehmen in der Existenz bedroht. Bei allen geht es an die Substanz.

Notruf 112: Berlins Krankenhäuser schlagen Alarm: Energiekrise und Inflation bedrohen sie in ihrer Existenz.
Notruf 112: Berlins Krankenhäuser schlagen Alarm: Energiekrise und Inflation bedrohen sie in ihrer Existenz.dpa/Rössler

Zum Beispiel die Wäsche. Christian Friese findet, dass sich an ihr gut erkennen lässt, wie stark die Krankenhäuser hierzulande unter Druck stehen. Wie sehr die drastisch gestiegenen Kosten für Energie und die Inflation sie belasten, vielleicht sogar in ihrer Existenz bedrohen. Friese ist Geschäftsführer der DRK Kliniken Berlin, deren Wäsche ein mittelständisches Unternehmen reinigt. „Es hat uns mitgeteilt, dass es uns den Auftrag sofort kündigen müsse, wenn es die Preissteigerungen nicht an uns weiterreichen könne“, sagt der Manager. „Andernfalls sei es gezwungen, Insolvenz anzumelden.“

Eine andere Firma ließ sich so schnell nicht verpflichten, günstigere Konditionen hätte die vermutlich auch nicht angeboten. „Wir mussten die Preiserhöhung von 30 Prozent akzeptieren“, sagt Friese. „Das sind für dieses Jahr 130.000 Euro.“ 

Zu den DRK Kliniken Berlin gehören vier Häuser. Insgesamt gibt es 60 Kliniken in der Stadt, die unterschiedlich groß sind, aber alle seit 2020 unter einer Art Dauerstress leiden. Zweieinhalb Jahre lang standen sie im Fokus der Corona-Pandemie. Die Sieben-Tage- Inzidenz wurde für die Öffentlichkeit zur Kennziffer ihrer Belastungsgrenze. Dank Impfung und Infektion sind schwere Krankheitsverläufe bei Covid-19 inzwischen zwar stark zurückgegangen. Experten wie der Berliner Virologe Christian Drosten sagen allerdings erneute Infektionswellen für Herbst und Winter voraus.

Ohnehin tragen die Kliniken immer noch an den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. „Es gab zwar eine Zeit lang finanzielle Hilfen, die aber nicht auskömmlich waren“, sagt Friese. Inzwischen sind diese Hilfen ersatzlos ausgelaufen. „Dazu kommen jetzt die Kostensteigerungen.“

Inflation belastet Berlins Kliniken mit mehr als 100 Millionen Euro

Die Inflation belastet die 60 Kliniken insgesamt mit mehr als 100 Millionen Euro an Sachkosten, allein in diesem Jahr. Davon geht die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) aus und schätzt angesichts der Energiekrise, dass sich die Summe 2023 mehr als verdoppelt. „Vor einigen Wochen noch haben wir die gestiegenen Kosten mit 1,5 Millionen Euro beziffert“, sagt Friese für sein  Unternehmen. „Mittlerweile haben sie sich auf 2,5 Millionen Euro erhöht.“

Die DRK Kliniken haben sich rechtzeitig an einen Energielieferanten gebunden und profitieren von relativ moderaten Tarifen – noch. Ende des Jahres läuft die Preisbindung aus. Dann wird es teuer. So teuer wie für andere Berliner Krankenhäuser schon jetzt. „Und wenn der Mechanismus der dritten Notfallstufe in der Gasversorgung greift, werden die Preiserhöhungen sowieso eins zu eins an uns weitergereicht“, sagt Friese.

Ein Krankenhaus hat einen enormen Bedarf an Energie, ein Krankenhausbett benötigt laut der gemeinnützigen Stiftung Viamedica an Strom und Wärme pro Jahr ungefähr so viel wie vier Einfamilienhäuser. „Sie müssen dafür nun bis zu zehnmal so viel Geld aufwenden“, sagt BKG-Geschäftsführer Marc Schreiner über Berlins Kliniken, „wenn nicht schon jetzt, so doch sehr bald“.

In Brandenburg ist bereits eine kommunale Klinik der Krise zum Opfer gefallen. Wegen Geldnot beantragte das Krankenhaus in Spremberg Insolvenz. So dramatisch ist die Lage in der Hauptstadt zwar noch nicht, doch Schreiner berichtet: „Das wird jetzt richtig eng. Ich kann nicht sagen, dass es 2023 zum Schwur kommt. Doch die Stimmung unter den Berliner Krankenhäusern lässt erahnen, dass es nicht mehr lange dauert, bis sie nicht mehr können.“

Die Kosten steigen, die Einnahmen sind gesunken. „Die Pandemie ist noch nicht vorbei“, sagt Schreiner und verweist auf all jene Patienten, die wegen oder mit Corona nach wie vor in Berlins Krankenhäusern behandelt werden. „Die benötigen einen besonderen Versorgungsaufwand.“ Der ist geringer als 2020 und 2021. Das Problem liegt jedoch vor allem bei den Krankenhäusern selbst. 

„Die Zahl der covidbedingten Ausfälle bei unseren Beschäftigten hat sich verfünffacht gegenüber den Vorjahren“, berichtet Friese. „Die Krankheitsverläufe sind zwar in der Regel nicht schwer, wir haben eine Impfquote von 99 Prozent, trotzdem fallen die Mitarbeiter eher zwölf als fünf Tage aus.“ Weniger Personal bedeutet: weniger Behandlungen.

Notfälle sollen weiter versorgt werden in den DRK Kliniken. „Wir schließen unsere Rettungsstellen nicht“, sagt Friese. Deshalb werden planbare Operationen verschoben, sogenannte elektive Eingriffe müssen warten. Die sind oft aber finanziell lukrativ. „Wer sich von der Notfallversorgung abmeldet, kann sicherlich mehr personelle Ressourcen für elektive Eingriffe zu Verfügung stellen und steht dann gegebenenfalls wirtschaftlich besser da“, sagt Friese. 

„Alarmstufe Rot“: Berlins Kliniken beteiligen sich an Protestaktion

Es fehle ein Konzept, bemängeln Berlins Krankenhäuser. Marc Schreiner erinnert daran, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigt habe, „einen Werkzeugkasten bereitzustellen, damit die Krankenhäuser über den Herbst und Winter kommen. Einen konkreten Vorschlag hat er bisher nicht gemacht.“ Deshalb haben sich die Berliner Krankenhäuser einer Protestaktion angeschlossen. „Alarmstufe Rot“ ist ihr Titel, sie tourt durch die Republik. 

Einzelne Bundesländer bewegten sich bereits, berichtet Friese: „Brandenburg zum Beispiel stellt 50 Millionen an zusätzlichen Mitteln bereit – auch unter dem Eindruck einer ersten Insolvenz eines Krankenhauses.“ Die DRK Kliniken seien derzeit nicht akut bedroht, sagt der Manager. „Wir verfügen über Rücklagen, haben mit der DRK-Schwesternschaft Berlin einen Gesellschafter, der ebenfalls Rücklagen hat. Aber wir leben von der Substanz.“

Andere Träger stünden schlechter da. Das hört Marc Schreiner immer wieder von Kollegen: „Viele Geschäftsführer von Berliner Kliniken sehen ihr Unternehmen einer schweren und teils sogar einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt.“